Verborgenes Leid enthüllen – Die Rolle der Pflege bei Kindesmissbrauch

Diplomarbeit Bildungsgang Pflege HF Januar 2025

Angela Braun
Bildungsgang Pflege HF 

Hintergrund

«2097 Kinder mussten im Jahr 2023 aufgrund einer Kindeswohlgefährdung im Spital behandelt werden. Dies entspricht einem Anstieg von 11% im Vergleich zum Vorjahr» (Kinderschutz Schweiz, 2024).

Die steigenden Zahlen bezüglich Kindeswohlgefährdung in der Schweiz machen deutlich, wie wichtig es ist, dass Pflegende im Kinderspital für diese Problematik sensibilisiert sind, geschult werden und achtsam allfällige Anzeichen sowie verdächtige Anhaltspunkte wahrnehmen. Pflegende sind verpflichtet, das Wohl der kleinen Patientinnen und Patienten zu schützen. Bei Anzeichen von Missbrauch müssen die richtigen Massnahmen in die Wege geleitet werden, um die Qualität der Pflege zu verbessern und zum Schutz der Kinder beizutragen.

Pflegefachpersonen sind häufig die Ersten, die Symptome bemerken, da sie teilweise eine enge und vertrauensvolle Beziehung mit den Kindern aufbauen. Deshalb ist es wichtig, in solchen Situationen fachgerecht handeln zu können.

Abbildung 1. Illustration erstellt mit Unterstützung von OpenAI DALL·E (Jan. 2025)

Kindesmissbrauch zeigt sich auf vielfältige Weise

Unterschieden werden sexueller Missbrauch, körperlicher Missbrauch wie Schläge oder andere gewaltsame Handlungen (Stösse, Schütteln, Verbrennungen usw.), die beim Kind zu Verletzungen führen können (Egle, 2015). Bei einem Säugling kann schon ein heftiges Schütteln gravierende Folgen auslösen. In den meisten Fällen hinterlässt Missbrauch bei den Opfern körperliche und/oder seelische Verletzungen (Egle, 2015).

Von Vernachlässigung ist die Rede, wenn Versäumnisse im Hinblick auf eine altersentsprechende Fürsorge sichtbar werden. Dazu zählen mangelnde Beaufsichtigung, fehlender Schutz vor psychischen Risiken, Nichtermöglichen angemessener Bildung, Vorenthalten medizinischer Versorgung, keine angemessene Kleidung, Nahrung, Schutz sowie das Zumuten von Alleinsein. Die Prävalenz von Vernachlässigung ist höher als sexuelle oder körperliche Gewalt (Klitzing, 2022).

Emotionale Misshandlung umfasst einerseits die Unterlassung von essenziellen Befriedigungen grundlegender kindlicher Bedürfnisse nach psychischer Sicherheit und Geborgenheit, Akzeptanz, positiver Aufmerksamkeit und altersentsprechender Selbstständigkeit. Anderseits versteht man unter dem Begriff auch aktive Handlungen wie beispielsweise Beschimpfen, Herabwürdigen, Erniedrigen etc.

Folgen für die Entwicklung und im Erwachsenenalter

Misshandlungen in der Kindheit sind mit einem hohen Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen und körperlicher Folgeschäden verbunden. Zwischen einem Viertel und einem Drittel der Betroffenen erleiden bis zum 20. Lebensjahr eine schwere Depression, was auf die enorme psychische Belastung durch die Missbrauchserfahrung zurückzuführen ist. Depressionen sind bei allen Formen des Missbrauchs erkennbar (Gilbert, 2009; Widom, 2007). Weitere psychische Folgen können Verhaltensprobleme (z.B. Aggressivität, impulsives Verhalten), Essstörungen, vermehrter Alkoholkonsum, posttraumatische Belastungsstörung, Angsterkrankungen und eine erhöhte Suizidalität sein.

Physischer Missbrauch kann unmittelbar – je nach Intensität, Häufigkeit und Dauer – zu sichtbaren Verletzungen wie Prellungen, Knochenbrüchen, Verbrennungen (…) und in schweren Fällen zu bleibenden Behinderungen führen. Des Weiteren kann es zu einer Reihe von Gesundheitsproblemen im Erwachsenenalter wie Herzkrankheiten, Krebs, chronischen Lungenkrankheiten (…) und Leberkrankheiten kommen. Dies erklärt sich mit den langfristigen Auswirkungen von Stress und der Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (Gilbert, 2009).

Leitende Fragestellung

Die Diplomarbeit behandelt folgende leitende Fragestellung:

Wie können Pflegefachpersonen im Kinderspital Missbrauch erkennen und betroffene Kinder in der Aufarbeitung begleiten und bestärken?

Methode

Die Diplomarbeit basiert auf einer umfassenden Literaturrecherche in den Suchportalen Swisscovery, PubMed und Google. Zugrunde gelegt wurden vor allem wissenschaftliche Studien aus Deutschland und den USA, da – bis auf die eingangs erwähnten soziodemografischen Angaben – spezifische Daten aus der Schweiz nur unzureichend verfügbar waren.

Ergebnisse

Pflegefachpersonen nehmen oft die ersten Anzeichen von Missbrauch oder Vernachlässigung wahr. Dennoch herrscht oftmals Unsicherheit im Umgang mit Verdachtsfällen. Von grosser Bedeutung sind daher Schulungen, interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Nutzung standardisierter Beobachtungsbögen zur Früherkennung und zum Schutz der betroffenen Kinder. Neben einer sorgfältigen Anamnese sowie der Dokumentation von sichtbaren körperlichen Schäden beobachten Pflegefachpersonen das Verhalten der Kinder im Spital. Teilweise sind misshandelte Kinder sehr ängstlich, gehemmt, passiv und auch bemüht, es allen recht zu machen. Andere Kinder wiederum sind sehr tolerant, erdulden schmerzhafte Eingriffe klaglos und zeigen ein überangepasstes Verhalten. Weitere Symptome können emotionale Störungen (Traurigkeit, Ängstlichkeit und mangelndes Selbstvertrauen) und Schwierigkeiten im Sozialverhalten sein. In der Entwicklung zeigen sich Rückstände in Motorik und Sprache. Auch verschlüsselte Botschaften von Kindern wie beispielsweise «Hier gefällt es mir» oder «Ich gehe gern ins Spital» sind ernst zu nehmende Hinweise, die darauf hindeuten können, dass es zu Hause schwer erträglich ist (Egle, 2015).

Individuelle Therapie

Alle betroffenen Kinder sollten ein individuelles unterstützendes und begleitendes Versorgungsangebot erhalten, um durch eigene Bewältigung und Heilung die Entwicklung einer seelischen Störung, aber auch die Weitergabe der erlittenen Gewalt zu vermeiden. Welche Therapieform am besten geeignet ist, hängt vom Alter und von der Symptombelastung des Kindes ab.

Weiterhin, so die Autorin, könnten ethische Fallbesprechungen mit anonymen Beispielen hilfreich sein, den Umgang mit Verdachtsfällen zu schulen. Das Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) verfügt über eine interne Kinderschutzgruppe, die für solche Herausforderungen eingerichtet ist und auch unterstützend bei einem Verdacht sein kann.

Handlungsempfehlungen

Da die Kinder häufig nicht wegen dem Missbrauch, sondern aufgrund anderer Krankheiten oder Probleme stationär aufgenommen werden, bleibt Kindesmissbrauch oft unentdeckt oder es wird sogar weggeschaut.

Zusammengefasst können folgende Massnahmen unterstützen, Kindesmissbrauch zu erkennen und professionell zu handeln:

  • Einführung standardisierter Beobachtungs- und Dokumentationsbögen,
  • regelmässige Schulungen und Fortbildungen für Pflegefachpersonen,
  • Einführen von Präventionsprogrammen für Eltern und Familien.
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